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Call for Papers, Ausgabe 1/2026: Menschenrechte im Kontext von Behinderung

Der Call for Papers als barrierefreies pdf.

Menschenrechte im Kontext von Behinderung

Gastherausgabe des Bochumer Zentrums für Disability Studies (BODYS)

Im Jahr 2026 wird die UN Behindertenrechtskonvention (UN BRK) 20 Jahre alt. Verabschiedet am 13.12.2006 durch die Vereinten Nationen, gilt sie als ein Meilenstein für die internationale Behindertenbewegung.   Neben Politik und Recht beeinflusst die UN BRK auch die Disability Studies nachhaltig; ein Wechselverhältnis, welches wir in Zusammenarbeit mit dem Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) in den Fokus einer neuen Ausgabe der ZDS stellen werden.

Der Kampf um eine behindertenspezifische Menschenrechtskonvention hat die internationale Behindertenbewegung zu einer Menschenrechtsbewegung gemacht und damit auch ihr kollektives Selbstverständnis als soziale Bewegung inhaltlich geprägt. Umgekehrt hat die internationale Behindertenbewegung, durch ihre Arbeit an der UN BRK, den internationalen Menschenrechtskanon wie keine andere zivilgesellschaftliche Gruppe zuvor geprägt. (Degener und Witzmann 2023) So sind etwa Barrierefreiheit, Inklusion oder Selbstbestimmt-Leben und Taubenkultur Termini aus der Behindertenbewegung, die erst mit der UN BRK Einzug in das Völkerrecht und in die Menschenrechtspolitik erhalten haben. Der klare Bezug der UN BRK auf das soziale Modell von Behinderung ist darüber hinaus ein Indiz für den Einfluss der Disability Studies auf die UN BRK. (Kayess und French 2008) In diesem Sinne hat die UN BRK die Herausbildung eines Menschenrechtsmodells von Behinderung befördert, wonach Menschenrechte weder aufgrund von Beeinträchtigungen verweigert noch eingeschränkt werden dürfen; Menschenrechte setzen also keine Nichtbehinderung voraus.  (Degener 2015)

Das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) begreift die Disability Studies als ein theoretisches Fundament der UN BRK. BODYS‘ Forschungsansatz beruht auf der Annahme, dass die UN BRK nur aus den Disability Studies heraus zu verstehen ist. Das 2016 von BODYS und seinen internationalen Partner*innen gegründete Disability Human Rights Research Network entwickelte dementsprechend ein Forschungsprotokoll für menschenrechtsbasierte Forschung (Arstein-Kerslake et al. 2020). Erste Erfahrungen mit dieser neuen Methode konnten in Forschungsprojekten der Disability Studies erworben werden. (Degener und Butschkau 2020) Als Gastherausgeberinnen nehmen wir das 20-jährige Jubiläum der UN BRK zum Anlass, den menschenrechtlichen Diskurs in den Disability Studies weiterzuführen. Dabei geht es uns in dieser Ausgabe sowohl um menschenrechtsbasierte Forschung in den Disability Studies als auch allgemein um Schnittpunkte zwischen Menschenrechten und Behinderung aus der Perspektive der Disability Studies. Während in den deutschsprachigen Disability Studies insbesondere die Realisierung des Rechts auf Inklusion im Bildungsbereich aus DS-Perspektive erforscht wurde (Biermann 2022; Pfahl 2011) und das Konzept der Autonomie im Kontext von Behinderung reflektiert wird (Degener 2018; Aichele 2013; Graumann 2011), verhandeln die englischsprachigen Disability Studies vermehrt auch andere Menschenrechtsthemen (Hirschberg 2022).

In dieser neuen Ausgabe der ZDS soll nun ein breites Themenspektrum mit unterschiedlichen (inter-) disziplinären Zugängen der Disability Studies zu Menschenrechten und Behinderung aufgegriffen werden. Eingeladen sind theoretische, empirische, künstlerische und aktivistische Beitragsvorschläge für die verschiedenen Rubriken der ZDS:

  • Fachbeiträge (empirische und theoretische Originalarbeiten aus den Disability Studies),
  • Debattenbeiträge (Reflexionen und Diskussionen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Aktivismus) und
  • Zwischenrufe (Kommentare und Positionen zu aktuellen Ereignissen).

Aktuelle Menschenrechtsthemen aus DS-Perspektive

Welche Menschenrechtsthemen werden aktuell in den Disability Studies diskutiert (z.B. bzgl. der Umsetzung von Inklusion in Arbeit, Politik und Bildung, Selbstbestimmt-Leben)? Welche Menschenrechtsthemen erfordern eine Disability Studies Perspektive? Welchen Beitrag leistet menschenrechtsbasierte Forschung für die Realisierung von Rechten in verschiedenen Lebensbereichen? Wie kann menschenrechtsbasierte Leistungserbringung, Desegregierung, Deinstitutionalisierung in der Behindertenhilfe initiiert werden? Gibt es ein Menschenrecht auf assistierten Suizid? Welche reproduktive Gerechtigkeit brauchen wir? Welchen Gewaltschutz? Welchen Schutz brauchen behinderte Geflüchtete? Brauchen wir eine Altenrechtskonvention zusätzlich zur UN BRK? Welche Themen und Projekte der Disability Arts sind für den Menschenrechtsdiskurs wichtig?  Gibt es einen Bedarf, menschenrechtsbasierte Forschung als eigenständigen Ansatz partizipativer Forschung zu etablieren? 

Das Menschenrechtssubjekt und Behinderung

Die Idee der Menschenrechte, wie sie im Menschenrechtskanon der Vereinten Nationen kodifiziert wurde, baut auf den Erfahrungen mit den Menschheitsverbrechen des Zweiten Weltkriegs auf, wie sie insbesondere durch die Nationalsozialisten verübt wurden. Gleichwohl dauerte es mehr als sechs Dekaden, bis behinderte Menschen mit der UN BRK verbindlich als Menschenrechtssubjekte anerkannt wurden. Welche Faktoren haben eine frühere Einbeziehung verhindert? Ist die Idee der Menschenrechte mit Behinderung als „Teil der menschlichen Vielfalt“ (Art. 3 UN BRK) kompatibel? In welchen Bereichen ist das „Innovationspotenzial“ (Bielefeld 2006) der UN BRK zwei Dekaden nach ihrer Verabschiedung in der Menschenrechtspolitik und/oder der Menschenrechtstheorie spürbar? Wie wurde das Konzept der Menschenrechtssubjektivität in der Behindertenpolitik oder in der Forschung zu Behinderung seither rezipiert? Welche Rolle spielt das Menschenrechtssubjekt in der Inklusionsdebatte? Wurden die zwei fundamentalen Menschenrechte Gleichheit und Freiheit durch die Einladung behinderter Menschen an den Tisch der Menschenrechte verändert? Wird segregierte Bildung im Menschenrechtsdiskurs als Verletzung des Diskriminierungsverbots oder als erlaubte Förderung gesehen? Werden besondere Wohnformen für behinderte Menschen als Freiheitsverletzung gesehen? Wie werden Zwangsmaßnahmen, die an behinderten Personen verübt werden, menschenrechtlich bewertet: als Folter, Missbrauch, ultima-ratio-Therapie? Wann gelten vormundschafts- oder betreuungsrechtliche Eingriffe als Verletzung des Rechts auf Rechtssubjektivität? Welche Konturen hat menschenrechtsbasierte Leistungserbringung in der Behindertenhilfe?

Disability Studies und Menschenrechte

Welche Rolle spielen die Menschenrechte in den Disability Studies? Führte die UN BRK zu einer Zäsur in Forschung, Lehre und Aktivismus? Wie kann die UN BRK für Konzepte, Methoden und Theorien der Disability Studies fruchtbar gemacht werden? Welche Rolle kommt dem sozialen Modell von Behinderung und den weiteren Modellen (kulturell, menschenrechtlich etc.) in diesem Zusammenhang zu? Werden Fragen der Deaf Studies oder der Mad Studies durch die UN BRK neu bzw. anders diskutiert? Welche Auswirkungen hat die UN BRK auf die Behindertenbewegung? Wurde sie durch den Kampf um die UN BRK und deren Umsetzung internationalisiert? Veränderte sich das Selbstverständnis als soziale Bewegung? Gibt es neue Verbündete? Welche Rolle spielt die UN BRK in der Intersektionalitätsdebatte in den Disability Studies? Gibt es Themen, die erst durch die UN BRK in den Disability Studies aufgegriffen wurden? Wie lässt sich die Geschichte der Menschenrechte aus Perspektive der Disability Studies analysieren oder interpretieren? Gibt es Parallelen zur Dekolonialisierungsdebatte? Welche zukünftigen Menschenrechtsthemen (Klima, KI, Katastrophenschutz, Krieg) sind für die Disability Studies wichtig?

Einreichung

Die Ausgabe „Menschenrechte im Kontext von Behinderung“ soll im Frühjahr 2026 erscheinen. Um das zu ermöglichen, bitten wir, die folgenden Fristen zu beachten:

Einreichung Abstracts | 01.12.2024
Auswahl der Abstracts | 15.01.2025
Einreichung Manuskript | 01.04.2025        
Versendung Reviews | 15.06.2025
Einreichung überarbeitetes Manuskript | 01.09.2025
Versendung finales Feedback | 15.10.2025
Einreichung finalen Manuskriptversion | 31.01.2026

Für die Einreichung der Abstracts nutzen Sie bitte dieses Online-Formular.

Bei Problemen mit dem Online-Formular bitte per Mail an kontakt@zds-online.de wenden.

Mit freundlichen Grüßen vom Gast-/Herausgeber*innenteam:

Julia Biermann, Theresia Degener, Kathrin Römisch und Franziska Witzmann

Literatur

Aichele, V. (Hrsg.). (2013). Das Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht: Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention (1. Aufl.). Nomos.

Arstein-Kerslake, A., Maker, Y., Flynn, E., Ward, O., Bell, R. & Degener, T. (2020). Introducing a Human Rights-based Disability Research Methodology. Human Rights Law Review, 20(3), 412–432. https://doi.org/10.1093/hrlr/ngaa021

Bielefeld, H. (2006). Zum Innovationspotenzial der Behindertenrechtskonvention. Deutsches Institut für Menschenrechte.

Biermann, J. (2022). Translating Human Rights in Education: The Influence of Article 24 UN CRPD in Nigeria and Germany. University of Michigan Press. https://doi.org/10.3998/mpub.12000946

Degener, T. (2015). Vom medizinischen zum menschenrechtlichen Modell von Behinderung: Konzepte für Behindertenrecht und -politik. In I. Attia (Hrsg.), Dominanzkultur reloaded: Neue Texte zu gesellschaftlichen Machtverhältnissen und ihren Wechselwirkungen (S. 155–168). transcript.

Degener, T. (2018). Unterstützte gleiche Freiheit: Zum Innovationspotenzial der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. In S. Baer & U. Sacksofsky (Hrsg.), Schriften zur Gleichstellung: Band 47. Autonomie im Recht: Geschlechtertheoretisch vermessen (1. Auflage, S. 61–70). Nomos.

Degener, T. & Butschkau, M. (2020). Emanzipation ohne Vereinnahmung: Menschenrechtsbasierte Forschung in den Disability Studies. In D. Brehme, P. Fuchs, S. Köbsell & C. Wesselmann (Hrsg.), Disability Studies im deutschsprachigen Raum: Zwischen Emanzipation und Vereinnahmung (S. 132–150). Beltz-Juventa.

Degener, T. & Witzmann, F. (2023). Der Kampf um die Behindertenrechtskonvention: Ein steiniger Weg zu inklusiver Freiheit und inklusiver Gleichheit. Zeitschrift für Disability Studies (2), 1–26. https://doi.org/10.15203/ZDS_2023_2.02  

Graumann, S. (2011). Assistierte Freiheit: Von einer Behindertenpolitik der Wohltätigkeit zu einer Politik der Menschenrechte. Campus.

Hirschberg, M. (2022). Gleiche Rechte haben und ausüben können: Menschenrechte aus Sicht der Disability Studies. In N. Leonhardt, R. Kruschel, S. Schuppener & M. Hauser (Hrsg.), Menschenrechte im interdisziplinären Diskurs: Perspektiven auf Diskriminierungsstrukturen und pädagogische Handlungsmöglichkeiten (S. 63-75). Beltz Juventa.

Kayess, R. & French, P. (2008). Out of Darkness into Light? Introducing the Convention on the Rights of Persons with Disabilities. Human Rights Law Review, 8(1), 1–34. https://doi.org/10.1093/hrlr/ngm044   Pfahl, L. (2011). Techniken der Behinderung: Der deutsche Lernbehinderungsdiskurs, die Sonderschule und ihre Auswirkungen auf Bildungsbiografien. Transcript.