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Call for Papers, Ausgabe 1/2026: Menschenrechte im Kontext von Behinderung

Der Call for Papers als barrierefreies pdf.

Menschenrechte im Kontext von Behinderung

Gastherausgabe des Bochumer Zentrums für Disability Studies (BODYS)

Im Jahr 2026 wird die UN Behindertenrechtskonvention (UN BRK) 20 Jahre alt. Verabschiedet am 13.12.2006 durch die Vereinten Nationen, gilt sie als ein Meilenstein für die internationale Behindertenbewegung.   Neben Politik und Recht beeinflusst die UN BRK auch die Disability Studies nachhaltig; ein Wechselverhältnis, welches wir in Zusammenarbeit mit dem Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) in den Fokus einer neuen Ausgabe der ZDS stellen werden.

Der Kampf um eine behindertenspezifische Menschenrechtskonvention hat die internationale Behindertenbewegung zu einer Menschenrechtsbewegung gemacht und damit auch ihr kollektives Selbstverständnis als soziale Bewegung inhaltlich geprägt. Umgekehrt hat die internationale Behindertenbewegung, durch ihre Arbeit an der UN BRK, den internationalen Menschenrechtskanon wie keine andere zivilgesellschaftliche Gruppe zuvor geprägt. (Degener und Witzmann 2023) So sind etwa Barrierefreiheit, Inklusion oder Selbstbestimmt-Leben und Taubenkultur Termini aus der Behindertenbewegung, die erst mit der UN BRK Einzug in das Völkerrecht und in die Menschenrechtspolitik erhalten haben. Der klare Bezug der UN BRK auf das soziale Modell von Behinderung ist darüber hinaus ein Indiz für den Einfluss der Disability Studies auf die UN BRK. (Kayess und French 2008) In diesem Sinne hat die UN BRK die Herausbildung eines Menschenrechtsmodells von Behinderung befördert, wonach Menschenrechte weder aufgrund von Beeinträchtigungen verweigert noch eingeschränkt werden dürfen; Menschenrechte setzen also keine Nichtbehinderung voraus.  (Degener 2015)

Das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) begreift die Disability Studies als ein theoretisches Fundament der UN BRK. BODYS‘ Forschungsansatz beruht auf der Annahme, dass die UN BRK nur aus den Disability Studies heraus zu verstehen ist. Das 2016 von BODYS und seinen internationalen Partner*innen gegründete Disability Human Rights Research Network entwickelte dementsprechend ein Forschungsprotokoll für menschenrechtsbasierte Forschung (Arstein-Kerslake et al. 2020). Erste Erfahrungen mit dieser neuen Methode konnten in Forschungsprojekten der Disability Studies erworben werden. (Degener und Butschkau 2020) Als Gastherausgeberinnen nehmen wir das 20-jährige Jubiläum der UN BRK zum Anlass, den menschenrechtlichen Diskurs in den Disability Studies weiterzuführen. Dabei geht es uns in dieser Ausgabe sowohl um menschenrechtsbasierte Forschung in den Disability Studies als auch allgemein um Schnittpunkte zwischen Menschenrechten und Behinderung aus der Perspektive der Disability Studies. Während in den deutschsprachigen Disability Studies insbesondere die Realisierung des Rechts auf Inklusion im Bildungsbereich aus DS-Perspektive erforscht wurde (Biermann 2022; Pfahl 2011) und das Konzept der Autonomie im Kontext von Behinderung reflektiert wird (Degener 2018; Aichele 2013; Graumann 2011), verhandeln die englischsprachigen Disability Studies vermehrt auch andere Menschenrechtsthemen (Hirschberg 2022).

In dieser neuen Ausgabe der ZDS soll nun ein breites Themenspektrum mit unterschiedlichen (inter-) disziplinären Zugängen der Disability Studies zu Menschenrechten und Behinderung aufgegriffen werden. Eingeladen sind theoretische, empirische, künstlerische und aktivistische Beitragsvorschläge für die verschiedenen Rubriken der ZDS:

  • Fachbeiträge (empirische und theoretische Originalarbeiten aus den Disability Studies),
  • Debattenbeiträge (Reflexionen und Diskussionen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Aktivismus) und
  • Zwischenrufe (Kommentare und Positionen zu aktuellen Ereignissen).

Aktuelle Menschenrechtsthemen aus DS-Perspektive

Welche Menschenrechtsthemen werden aktuell in den Disability Studies diskutiert (z.B. bzgl. der Umsetzung von Inklusion in Arbeit, Politik und Bildung, Selbstbestimmt-Leben)? Welche Menschenrechtsthemen erfordern eine Disability Studies Perspektive? Welchen Beitrag leistet menschenrechtsbasierte Forschung für die Realisierung von Rechten in verschiedenen Lebensbereichen? Wie kann menschenrechtsbasierte Leistungserbringung, Desegregierung, Deinstitutionalisierung in der Behindertenhilfe initiiert werden? Gibt es ein Menschenrecht auf assistierten Suizid? Welche reproduktive Gerechtigkeit brauchen wir? Welchen Gewaltschutz? Welchen Schutz brauchen behinderte Geflüchtete? Brauchen wir eine Altenrechtskonvention zusätzlich zur UN BRK? Welche Themen und Projekte der Disability Arts sind für den Menschenrechtsdiskurs wichtig?  Gibt es einen Bedarf, menschenrechtsbasierte Forschung als eigenständigen Ansatz partizipativer Forschung zu etablieren? 

Das Menschenrechtssubjekt und Behinderung

Die Idee der Menschenrechte, wie sie im Menschenrechtskanon der Vereinten Nationen kodifiziert wurde, baut auf den Erfahrungen mit den Menschheitsverbrechen des Zweiten Weltkriegs auf, wie sie insbesondere durch die Nationalsozialisten verübt wurden. Gleichwohl dauerte es mehr als sechs Dekaden, bis behinderte Menschen mit der UN BRK verbindlich als Menschenrechtssubjekte anerkannt wurden. Welche Faktoren haben eine frühere Einbeziehung verhindert? Ist die Idee der Menschenrechte mit Behinderung als „Teil der menschlichen Vielfalt“ (Art. 3 UN BRK) kompatibel? In welchen Bereichen ist das „Innovationspotenzial“ (Bielefeld 2006) der UN BRK zwei Dekaden nach ihrer Verabschiedung in der Menschenrechtspolitik und/oder der Menschenrechtstheorie spürbar? Wie wurde das Konzept der Menschenrechtssubjektivität in der Behindertenpolitik oder in der Forschung zu Behinderung seither rezipiert? Welche Rolle spielt das Menschenrechtssubjekt in der Inklusionsdebatte? Wurden die zwei fundamentalen Menschenrechte Gleichheit und Freiheit durch die Einladung behinderter Menschen an den Tisch der Menschenrechte verändert? Wird segregierte Bildung im Menschenrechtsdiskurs als Verletzung des Diskriminierungsverbots oder als erlaubte Förderung gesehen? Werden besondere Wohnformen für behinderte Menschen als Freiheitsverletzung gesehen? Wie werden Zwangsmaßnahmen, die an behinderten Personen verübt werden, menschenrechtlich bewertet: als Folter, Missbrauch, ultima-ratio-Therapie? Wann gelten vormundschafts- oder betreuungsrechtliche Eingriffe als Verletzung des Rechts auf Rechtssubjektivität? Welche Konturen hat menschenrechtsbasierte Leistungserbringung in der Behindertenhilfe?

Disability Studies und Menschenrechte

Welche Rolle spielen die Menschenrechte in den Disability Studies? Führte die UN BRK zu einer Zäsur in Forschung, Lehre und Aktivismus? Wie kann die UN BRK für Konzepte, Methoden und Theorien der Disability Studies fruchtbar gemacht werden? Welche Rolle kommt dem sozialen Modell von Behinderung und den weiteren Modellen (kulturell, menschenrechtlich etc.) in diesem Zusammenhang zu? Werden Fragen der Deaf Studies oder der Mad Studies durch die UN BRK neu bzw. anders diskutiert? Welche Auswirkungen hat die UN BRK auf die Behindertenbewegung? Wurde sie durch den Kampf um die UN BRK und deren Umsetzung internationalisiert? Veränderte sich das Selbstverständnis als soziale Bewegung? Gibt es neue Verbündete? Welche Rolle spielt die UN BRK in der Intersektionalitätsdebatte in den Disability Studies? Gibt es Themen, die erst durch die UN BRK in den Disability Studies aufgegriffen wurden? Wie lässt sich die Geschichte der Menschenrechte aus Perspektive der Disability Studies analysieren oder interpretieren? Gibt es Parallelen zur Dekolonialisierungsdebatte? Welche zukünftigen Menschenrechtsthemen (Klima, KI, Katastrophenschutz, Krieg) sind für die Disability Studies wichtig?

Einreichung

Die Ausgabe „Menschenrechte im Kontext von Behinderung“ soll im Frühjahr 2026 erscheinen. Um das zu ermöglichen, bitten wir, die folgenden Fristen zu beachten:

Einreichung Abstracts | 01.12.2024
Auswahl der Abstracts | 15.01.2025
Einreichung Manuskript | 01.04.2025        
Versendung Reviews | 15.06.2025
Einreichung überarbeitetes Manuskript | 01.09.2025
Versendung finales Feedback | 15.10.2025
Einreichung finalen Manuskriptversion | 31.01.2026

Für die Einreichung der Abstracts nutzen Sie bitte dieses Online-Formular.

Bei Problemen mit dem Online-Formular bitte per Mail an kontakt@zds-online.de wenden.

Mit freundlichen Grüßen vom Gast-/Herausgeber*innenteam:

Julia Biermann, Theresia Degener, Kathrin Römisch und Franziska Witzmann

Literatur

Aichele, V. (Hrsg.). (2013). Das Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht: Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention (1. Aufl.). Nomos.

Arstein-Kerslake, A., Maker, Y., Flynn, E., Ward, O., Bell, R. & Degener, T. (2020). Introducing a Human Rights-based Disability Research Methodology. Human Rights Law Review, 20(3), 412–432. https://doi.org/10.1093/hrlr/ngaa021

Bielefeld, H. (2006). Zum Innovationspotenzial der Behindertenrechtskonvention. Deutsches Institut für Menschenrechte.

Biermann, J. (2022). Translating Human Rights in Education: The Influence of Article 24 UN CRPD in Nigeria and Germany. University of Michigan Press. https://doi.org/10.3998/mpub.12000946

Degener, T. (2015). Vom medizinischen zum menschenrechtlichen Modell von Behinderung: Konzepte für Behindertenrecht und -politik. In I. Attia (Hrsg.), Dominanzkultur reloaded: Neue Texte zu gesellschaftlichen Machtverhältnissen und ihren Wechselwirkungen (S. 155–168). transcript.

Degener, T. (2018). Unterstützte gleiche Freiheit: Zum Innovationspotenzial der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. In S. Baer & U. Sacksofsky (Hrsg.), Schriften zur Gleichstellung: Band 47. Autonomie im Recht: Geschlechtertheoretisch vermessen (1. Auflage, S. 61–70). Nomos.

Degener, T. & Butschkau, M. (2020). Emanzipation ohne Vereinnahmung: Menschenrechtsbasierte Forschung in den Disability Studies. In D. Brehme, P. Fuchs, S. Köbsell & C. Wesselmann (Hrsg.), Disability Studies im deutschsprachigen Raum: Zwischen Emanzipation und Vereinnahmung (S. 132–150). Beltz-Juventa.

Degener, T. & Witzmann, F. (2023). Der Kampf um die Behindertenrechtskonvention: Ein steiniger Weg zu inklusiver Freiheit und inklusiver Gleichheit. Zeitschrift für Disability Studies (2), 1–26. https://doi.org/10.15203/ZDS_2023_2.02  

Graumann, S. (2011). Assistierte Freiheit: Von einer Behindertenpolitik der Wohltätigkeit zu einer Politik der Menschenrechte. Campus.

Hirschberg, M. (2022). Gleiche Rechte haben und ausüben können: Menschenrechte aus Sicht der Disability Studies. In N. Leonhardt, R. Kruschel, S. Schuppener & M. Hauser (Hrsg.), Menschenrechte im interdisziplinären Diskurs: Perspektiven auf Diskriminierungsstrukturen und pädagogische Handlungsmöglichkeiten (S. 63-75). Beltz Juventa.

Kayess, R. & French, P. (2008). Out of Darkness into Light? Introducing the Convention on the Rights of Persons with Disabilities. Human Rights Law Review, 8(1), 1–34. https://doi.org/10.1093/hrlr/ngm044   Pfahl, L. (2011). Techniken der Behinderung: Der deutsche Lernbehinderungsdiskurs, die Sonderschule und ihre Auswirkungen auf Bildungsbiografien. Transcript.

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Call for Papers für die Ausgaben 01/2025 + 02/2025: Geschichte/n von Behinderung

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Geschichte/n von Behinderung – Leben und Geschichte schreiben aus der Perspektive der Dis/ability History

Unter dem Namen Dis/ability History hat sich in den letzten Jahren ein eigenes Forschungsfeld an der Schnittstelle von Dis/ability Studies und Geschichtswissenschaft etablieren können. Dis/ability History will zum einen Behinderung eine eigene Geschichtlichkeit zuerkennen und gleichzeitig die Bedeutung von Dis_ability als historische Analysekategorie herausarbeiten, denn „disability is central to understanding history” (Burch & Rembis, 2014, S. 1). Behinderung dient so als erkenntnisleitende Kategorie, um zu erforschen, wie in der Vergangenheit mit menschlicher/gesundheitlicher Differenz umgegangen wurde. Darüber hinaus eröffnet Dis/ability History der allgemeinen Geschichtswissenschaft neue und kritische Perspektiven auf ihre „Meistererzählungen” (Barsch & Bösl, 2022, S. 222) wie Fortschritt, Individualisierung, Liberalisierung und Pluralisierung.

Verkörperte Differenz im historischen Kontext

Anliegen der Dis/ability History ist die Erforschung der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Diskurse, in denen die Konstruktion von Behinderung erfolgt. „Disability History betrachtet diese Fragen in ihrer historischen Gewordenheit und versucht so, eine neue Geschichtsschreibung zu entwickeln, die sich damit befasst, wie Gesellschaften jeweils ‚Normalität’ und ‚Abweichung’ definieren und herstellen, wie sie mit Abweichungen umgehen, aber auch, welche Rolle dabei jeweils Machtverhältnisse und das verfügbare Wissen (z.B. über den menschlichen Körper) spielen” (Köbsell, 2015, S. 38f). Grundlegend für die Dis/ability History ist das Konzept der „verkörperten Differenz”, das ermöglicht danach zu fragen, „welche Phänomene in welchen sozialen Kontexten überhaupt als Beeinträchtigung (bzw. als Krankheit, Schwäche oder Bedürftigkeit) sicht- und abgrenzbar gemacht werden und welche soziokulturellen Bedeutungen sich damit verbinden” (Bösl & Frohne, 2022, S. 131).

In den Blick genommen werden Konzepte von Nicht_Behinderung, bzw. von verkörperter Normalität und Abweichung. Es geht um die Sichtbarmachung des Umgangs mit menschlicher Diversität im Lauf der Geschichte – von lange vergangenen Zeiten, in denen es den modernen Sammelbegriff „Behinderung” noch nicht gab, bis in die jüngste Geschichte hinein. So erforschte etwa die Arbeitsgruppe „Homo Debilis“ an der Universität Bremen (2007-2016) die Geschichte körperlicher Differenz in der Vormoderne, während an der Universität Kiel von 2012-2017 die Geschichte behinderter Menschen in Ost- und Westdeutschland nach 1945 untersucht wurde. Je nach historischer Epoche erfolgen dabei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, aber die grundlegenden Fragen sind durchgehend: Wie werden Menschen als anders markiert, bzw. wer wird warum als anders markiert und mit welchen Konsequenzen? Wie wurden diese Individuen oder sozialen Gruppen dargestellt, ihre „Andersheit” bewertet – und was lässt sich daran für Gegenwart und Zukunft lernen?

Menschen mit Beeinträchtigungen als aktive Gestalter*innen ihrer Geschichte/n

Mit beiden Ausgaben der ZDS im Jahr 2025 soll der zentralen Forderung der Dis/ability History Raum gegeben werden, Menschen mit Behinderungen nicht nur als Objekte, sondern als selbstbestimmte Subjekte der allgemeinen sowie ihrer eigenen Geschichte zu begreifen. Es soll Aufschluss gegeben werden über die Breite und Vielfalt des Lebens von Menschen mit Beeinträchtigungen in unterschiedlichen historischen Epochen. Dabei soll es vor allem auch darum gehen, Erkenntnisse über diese Individuen jenseits des Status als passive Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse zu gewinnen und die (auto-) biographischen Potentiale der Dis/ability History produktiv zu machen.

Im Zentrum des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses stehen dabei wissenschaftliche wie künstlerische Arbeiten und/oder Forschungsprojekte, die dezidiert die Perspektive von Menschen mit Behinderungen einnehmen. Geschichte sowie die eigene Geschichtlichkeit können dabei einerseits aus der bottom-up-Perspektive mittels Selbstzeugnissen unterschiedlichster Art untersucht werden. Andererseits ist es auch möglich, die Geschichte behinderter Menschen aus zeitgenössischen Dokumenten und Archivalien in Schrift und Bild „von außen“ zu rekonstruieren.

Gezeigt werden können so die vielfältigen Lebensentwürfe, Lebensformen, Lebensmöglichkeiten und Lebensverunmöglichungen behinderter Menschen in unterschiedlichen historischen Zeiträumen und unter variierenden politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen.

Historisch wie zeitgeschichtlich sollen die Beiträge der ZDS Ausgaben 2025 Antworten auf die Frage geben, wie Menschen mit Beeinträchtigungen ihre Lebenssituation aktiv gestaltet haben – individuell und als Mitglieder der Gesellschaft, als Einzelne und ggf. (behindertenpolitisch) Organisierte. Mit welchen Herausforderungen, Konflikten und Widersprüchlichkeiten sahen sie sich konfrontiert und wie sind sie damit umgegangen? Welche Verständnisse von Dis_ability (Nicht_Behinderung) waren zu den jeweiligen Zeiten vorherrschend und wirkmächtig und wie konstruierten diese die Kategorien Nicht_Behinderung mit? Welche Selbstentwürfe entwickelten und vertraten beeinträchtigte Menschen unter den jeweiligen gesellschaftlichen Macht- und Gewaltverhältnissen?

Ganz besonders laden wir zur Einreichung von Forschungen zu (zeit-) historischen (Auto-) Biografien, (auto-) biographischen Texten oder anderen (Selbst-) Zeugnissen von beeinträchtigten Menschen ein, die erschlossen, bekannt gemacht, wiederveröffentlicht und historisiert, also aus ihrem (zeit-) historischen Kontext heraus verstanden und/oder neu gelesen und gedeutet werden könnten.

Wie haben behinderte Menschen ihr Leben erlebt und gelebt und welche individuellen wie gesellschaftlichen Voraussetzungen haben Selbstorganisationen ermöglicht? In diesem Zusammenhang ist auch die Rekonstruktion, Bewahrung und Überlieferung der internationalen Geschichte von Behindertenbewegungen und ihrer Vernetzungen sowie der deutschsprachigen ersten, zweiten und dritten Behindertenbewegung von grundlegender Bedeutung.

Auch theoretische Überlegungen zur Frage, ob und wie (auto-) biographische Selbstzeugnisse als Ausdruck von Zeitzeug*innenschaft produktiv gemacht werden können, wären von besonderem Interesse. Weitere mögliche Fragestellungen beziehen sich auf die schwierige Quellenlage zum Phänomen Behinderung: Welche Zugänge zu möglichen (neuen) Quellen, Beständen und Archivalien wären zu erschließen oder sind bereits erschlossen worden? Wie können Quellen zum Sprechen gebracht werden? Welche methodischen Zugänge nutzen Dis/ability Historians und welchen Herausforderungen begegnen sie dabei?

Einreichung

Der Call lädt zur Einreichung von Abstracts für Beiträge ein, die untersuchen oder zeigen, wie sich Lebensentwürfe und Lebensgestaltungen von Menschen mit Beeinträchtigungen aus der Perspektive der Dis/ability History rekonstruieren und/oder neu, anders, subversiv deuten und verstehen lassen. Willkommen sind uns dabei Produktionen, Vorhaben oder Projekte aus geschichtswissenschaftlichen wie nicht-geschichtswissenschaftlichen Feldern wie etwa von Kulturwissenschaft, Soziologie, Literaturwissenschaft und Philosophie. Beiträge aus den Blind Studies, Deaf Studies oder Mad Studies sind selbstverständlich auch dann willkommen, wenn sie nicht mit dem Begriff Dis/Ability History als Oberbegriff, sondern mit den entsprechenden analogen Bezeichnungen arbeiten (möchten).  

Eingeladen sind – auch aus künstlerischen & aktivistischen Kreisen – Beitragsvorschläge für die verschiedenen Rubriken der ZDS (Fachbeitrag, Debattenbeitrag, Zwischenruf). Hinweise zur Manuskriptgestaltung nach Annahme des Abstracts siehe https://zds-online.org/

Wir freuen uns auf zahlreiche Einreichungen von Abstracts!

Die ZDS Ausgabe 1/2025 soll imFrühjahr2025 erscheinen. Um das zu ermöglichen, bitten wir darum, die folgenden Fristen zu beachten:

Einreichung Abstracts | 01.04.2024
Auswahl der Abstracts / Rückmeldung an Einreichende| 01.05.2024
Einreichung des Manuskripts | 01.08.2024        
Versendung der Reviews an Einreichende | 15.09.2024
Einreichung der überarbeiteten Manuskripte | 01.11.2024
Rücksendung 2. Feedback an Autor*innen | 15.12.2024
Einreichung der finalen Manuskriptversion | 31.01.2025

Die Abstracts bitte unter https://umfrage.hu-berlin.de/index.php/268214 einreichen.

Bei Problemen mit dem Online-Formular bitte per Mail an kontakt@zds-online.de wenden.

Mit freundlichen Grüßen vom Herausgeber*innenteam:

Julia Biermann, Mai-Anh Boger, David Brehme, Petra Fuchs, Swantje Köbsell, Rebecca Maskos, Lisa Pfahl

Literatur

Barsch S. & Bösl, E. (2022). Disability History. Behinderung sichtbar machen: Emanzipationsbewegung und Forschungsfeld. Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History, 19(2), 219-234. https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2440

Bösl, E. & Frohne, B. (2022). Disability History. In A. Waldschmidt (Hrsg.), Handbuch Disability Studies (S. 127-142). Springer VS.

Burch, S. & Rembis, M. A. (Hrsg.). (2014). Re-Membering the Past: Reflections on Disability Histories. In S. Burch & M.A. Rembis (Hrsg.). Disability histories (S. 1-13). University of Illinois Press. https://www.jstor.org/stable/10.5406/j.ctt6wr5rt.5

Köbsell, S. (2015). Leibeigenschaften – eine barrierefreie Ausstellung über den Umgang mit Beeinträchtigungen in der Vormoderne In Th. Degener, Theresia & E. Diehl Handbuch Behindertenrechtskonvention (S. 38-42). Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Handbuch_Behindertenrechtskonvention.pdf

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Call for Papers für die Ausgaben 01/2024 + 02/2024: Kulturen der Behinderung

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Kulturen der Behinderung – Disability Studies zwischen be_hindernden Kulturen und Crip Culture

Mit diesem Jahres-Call laden wir ein, Abstracts für die beiden Ausgaben des Jahres 2024 einzureichen.

Der erste Schwerpunkt widmet sich verschiedensten Kulturgütern und -erzeugnissen, in denen Behinderung thematisiert wird: Von literaturwissenschaftlichen Betrachtungen über Musik und Kunst bis hin zu Populär- und Konsumkultur sind alle Einreichungen willkommen, die aus der Perspektive der Disability Studies erörtern, wie und als was Behinderung in Medien/kulturellen Erzeugnissen dargestellt, (re)präsentiert, (de)konstruiert, ableistisch entwertet oder subversiv umgedeutet wird.

Der zweite Schwerpunkt liegt auf im engeren sowie im weiteren Sinne kulturwissenschaftlichen Analysen zu Behinderung, die z.B. auf Basis des kulturellen Modells von Behinderung, aus ethnologischer, ethnographischer oder kultursoziologischer, aus kulturgeschichtlicher oder auch aus kulturvergleichender, migrationssoziologischer und/oder postkolonialer Perspektive Zusammenhänge zwischen Kultur und Behinderung betrachten.

Besonders willkommen sind in diesem sehr offenen Rahmen folgende Themen:

Behinderung in digitaler Kultur und Popkultur
In den letzten Jahren sind auf populären streaming-Diensten wie Netflix einige neue Filme und Serien produziert worden, in denen Behinderung bzw. ein behinderter Hauptcharakter im Zentrum steht. Darunter zählen zum Beispiel Produktionen wie „Atypical“, „The Healing Powers of Dude“, „Wonder“ oder „Crip Camp“. Inwiefern zeichnet sich darin (k)ein neues Bild von Behinderung ab? Wie lassen sich diese popkulturellen Erzeugnisse aus einer Disability Studies-Perspektive analysieren? Welche interessanten Felder gibt es neben Filmanalysen noch? Wie lassen sich zum Beispiel Kulturen ableistischer Be_hinderung, aber auch Kulturen des Empowerments in sozialen Netzwerken beschreiben? Wie wird Behinderung in seltener erforschten Medien wie zum Beispiel Comics oder Videospielen dargestellt? Und welche Bedeutung haben diese digitalen und/oder popkulturellen Räume insgesamt für das Prägen neuer Bilder von Behinderung bzw. für das Schaffen einer anderen, weniger ableistischen Kultur?

Behinderung (be-)schreiben – Literatur, Poesie und ein Raum zum Schreiben
Neben Beiträgen aus den Literary Disability Studies sind auch Einreichungen gefragt, die sich mit dem Schreiben selbst befassen: Aus einer Disability Studies-Perspektive ist es unerlässlich, dass wir selbst ins Schreiben kommen, unsere eigenen Worte (er)finden, um ableistischen Narrativen etwas entgegenzusetzen. Zugleich ist es Teil ableistischer Unterdrückungsdynamiken, Menschen vom Schreiben und anderen selbstbestimmten Ausdrucksformen abzuhalten. In diesem Sinne ist die feministische Frage, ob man einen „Raum zum Schreiben“ hat (wie sie zum Beispiel von Adrienne Rich oder Virginia Woolf gestellt wurde), auch für den Kontext Behinderung ergiebig. Sehr gerne werden daher auch literarische/poetische Einreichungen gesehen, die Behinderung auf experimentelle, bisher unerhörte oder widerständige Art be_schreiben bzw. die Erfahrungen damit in Worte fassen.

Kulturell verankerter Ableismus
Als lohnenswertes Desiderat in den Disability Studies erscheint eine stärkere Verbindung von Theorien des Ableismus mit kulturwissenschaftlichen Betrachtungen dazu, wie bzw. in welchen Prozessen sich Ableismus kulturell sedimentiert und verfestigt — oder eben auch dazu, wie ein kultureller Wandel in Richtung einer weniger ableistischen Gesellschaft konturiert werden könnte. Auch in Beschreibungen aktivistischer Praktiken tauchen Kulturbegriffe auf – so zum Beispiel in dem zumeist als abwertende Fremdbezeichnung verwendeten Begriff der „cancel culture“. Wie lässt sich die Kultur aktivistischer Räume beschreiben? Damit verbunden ist auch die Frage nach widerständigen Räumen und Räumen des Empowerments, in denen andere Kulturen des Umgangs mit Behinderung oder sogar Gegenkulturen ausgebildet werden:

Crip Culture – Kulturen der Sorge und der Sorglosigkeit
Wo findet sich „Crip Culture“ im deutschsprachigen Raum? Welche gelebte Kultur wird mit Begriffen wie zum Beispiel „Mad Culture“ oder „Gehörlosenkultur“ verbunden? Assoziiert sind diese Räume häufig mit Konzepten des Empowerments und der wechselseitigen Sorge unter Gleichbetroffenen. Wie lässt sich diese andere Form der Sorge umeinander, die sich von paternalistischer Fürsorge abgrenzt, denken? Welche Begriffe und Verständnisse von „Gemeinschaft“ oder „community“ tauchen darin auf? Neben der Sorge sind auch Einreichungen willkommen, die sich mit Sorglosigkeit im positiven Sinne des Wortes befassen, wie z.B. dem Schaffen von Kulturräumen, in denen man sorglos und barrierefrei feiern kann und in denen Momente der „access intimacy“ (Mingus) kultiviert werden.

 

 

Einreichung

Eingeladen sind – auch aus künstlerischen & aktivistischen Kreisen Beitragsvorschläge für die verschiedenen Rubriken der ZDS (Fachbeitrag, Debattenbeitrag, Zwischenruf). Hinweise zur Manuskriptgestaltung nach Annahme des Abstracts siehe https://zds-online.org/

Wir freuen uns auf zahlreiche Einreichungen von Abstracts!

Die sechste Ausgabe der ZDS wird Mitte 2024 und die siebte Ausgabe gegen Ende 2024 erscheinen. Um das zu ermöglichen, bitten wir Sie/dich bereits bei der Einreichung von Artikelideen die folgenden Fristen zu beachten:

Einreichung Abstracts| 01.03.2023
Auswahl der Abstracts / Rückmeldung an Einreichende|01.04.2023
Einreichung des Manuskripts| 01.07.2023
Versendung der Reviews an Einreichende | 15.08.2023
Einreichung der überarbeiteten Manuskripte | 01.10.2023
Rücksendung 2. Feedback an Autor*innen | 15.11.2023
Einreichung der finalen Manuskriptversion | 31.12.2023

Die Abstracts bitte unter https://umfrage.hu-berlin.de/index.php/776513?newtest=Y&lang=de einreichen. Bei Problemen mit dem Online-Formular bitte per Mail an kontakt@zds-online.de wenden.

Mit freundlichen Grüßen vom Herausgeber*innenteam
Julia Biermann, Mai-Anh Boger, David Brehme, Petra Fuchs, Swantje Köbsell, Rebecca Maskos, Lisa Pfahl

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Der Call for Papers zur 3. Ausgabe: Körper – Konzepte, Relationen & gesellschaftliche Verhältnisse

Der Call for Papers als barrierefreies pdf

„Körper – Konzepte, Relationen & gesellschaftliche Verhältnisse”

Der ‚behinderte’ Körper ist Gegenstand von Medien, Kunst und Performance und wird in den Disability Arts künstlerisch hinterfragt. Er wirft philosophische Fragen zum Körper in Zeit und Raum auf und verweist gesellschaftspolitisch darauf, inwiefern ‚besondere‘ Körper, Körperbilder und Körperpraktiken Anlass zur Kritik der Verhältnisse bieten. Zugleich wollen wir wissen: ‚Darf‘ das leibliche Empfinden oder schmerzhaftes Erleben von behinderten Körpern öffentlich thematisiert werden oder spielt man damit denjenigen in die Hände, die Leben mit Behinderung für nicht lebenswert halten? Sowohl aus künstlerischer als auch aus aktivistischer und akademischer Perspektive ermöglicht das Thema ‚Körper‘ vielfältige Verbindungen.

Im Anschluss an die ZDS #2 „Abseits und Jenseits des sozialen Modells von Behinderung“ wollen wir mit diesem Call for Papers die Diskussion um Behinderung als sozialem Phänomen fortsetzen. In dem im Kontext der Kritik am Sozialen Modell häufig zitierten Aufsatz von Hughes und Paterson (1997) werfen diese den Vertreter*innen des sozialen Modells vor, den beeinträchtigten Körper im Diskurs um Behinderung zu vernachlässigen und ihn so kampflos den medizinischen Disziplinen zu überlassen. Sie plädieren dafür, den Körper mit in das soziale Modell aufzunehmen und eine Theorie der Beeinträchtigung zu entwickeln, denn „impairment (…) is central to the lives of disabled people. Forms of resistance, and the struggle for bodily control, independence and emancipation, are embodied“ (Hughes & Paterson, 1997, S. 326). Inzwischen besteht weitgehender Konsens, dass eine theoretische Auseinandersetzung mit Behinderung den Körper einbeziehen muss; wie dies geschehen soll, ist jedoch umstritten.

Nach wie vor gibt es kein ausgearbeitetes „social model of impairment” (vgl. Biermann & Pfahl, 2020), aber die Kritik an der Körpervergessenheit des sozialen Models löste eine Debatte um die Frage aus, welcher theoretische Zugang zum behinderten Körper der beste ist. So kritisieren Barnes und Mercer (2003), dass der poststrukturalistische Ansatz erheblich zur Denaturalisierung des ‚besonderen‘ Körpers beigetragen habe. Die Konzeptionaliserung des Körpers als diskursives Produkt von Macht und Wissen führe zum Verschwinden des materiellen Körpers; und indem der Körper ausschließlich als diskursiver Effekt gesehen werde, würden behinderte Menschen zu „largely passive witnesses to discursive practices“ (ebd., S. 86). Hier müssten neue Wege des Verständnisses von Verkörperung gefunden werden, weshalb die Autoren plädieren: „Hence the significance of an eclectic approach that incorporates the subjective experiences or phenomenology of embodiment as well as the power of social discourse in the construction of bodies, while recognizing the broader context within which the body can be known and understood“ (ebd., S. 86).

Unter den britischen Disability Studies Vertreter_innen ist es vor allem Carol Thomas, die sich seit langer Zeit intensiv mit der Frage beschäftigt, wie der ‚besondere‘ Körper in den britischen Disability Studies angesprochen wird. Sie sieht aus den genannten Kontroversen den folgenden Ausweg: „My own view is that a non-reductionist materialist feminism offers the best hope for understanding and explaining disability, impairment effects, and the gendered nature of these” (Thomas, 1999, S. 143). Vor diesem Hintergrund könnte dann eine “non-reductionist materialist ontology of the body” (ebd.) entwickelt werden, die auch „impairment effects“ (Thomas, 2007, S. 180) berücksichtige.

Im Diskurs zum behinderten Körper geht es dabei auch immer um die Art der kulturellen Repräsentation. Hier zeige sich nicht nur, wie Körper für bestimmte Zwecke instrumentalisiert werden, sondern auch, wie gleichzeitig mit dem ‚besonderen‘ der ‚normale‘ Körper hergestellt wird: „It [disability] is in some sense the basis on which the ‘normal’ body is constructed; disability defines the negative space the body must not occupy“ (Davis, 1997, S. 68). Eine zentrale Rolle spielt der Körper auch in dem 2003 von Alison Kafer veröffentlichten Text, in dem sie das Konzept der „compulsory abled-bodiedness“ vorstellt. Orientiert an einem wegweisenden Text von Adrienne Rich, die das Konzept der „compulsory heterosexuality“ (Rich, 2003 [1980]) entwickelte, zeigt Kafer (2003) auf, dass alle gesellschaftlichen Felder nicht nur an einer Zwangs-Zweigeschlechtlichkeit, sondern auch an einer verpflichtenden „able-bodiedness“ ausgerichtet sind. Robert McRuer schließt sich dieser Sichtweise an und zeigt auf, wie das Zusammenspiel der beiden Systeme den nichtbehinderten Körper und gleichzeitig Heteronormativität produziert: „Able-bodiedness, even more than heterosexuality, still largely masquerades as a nonidentity, as the natural order of things“ (McRuer, 2006, S. 1). Die von ihm entwickelte Crip Theory will verstören bzw. ent-selbstverständlichen, was an sexuellen und körperlichen Ausprägungen als normal gilt und die gesellschaftliche Gleichberechtigung aller Variationen von Körpern und Fähigkeiten erreichen. Dabei spielt der Körper eine wichtige Rolle: „[…] I do not mean to deny the materiality of queer/disabled bodies, as it is precisely those material bodies that have populated the movements and brought about the changes I discuss throughout“ (ebd., S. 32).

Inzwischen zeichnet sich ein Konflikt zwischen den Positionen der „poststructuralist or very sympathetic with poststructuralism“ und den „post-positivist realist“ Vertreter*innen ab (McRuer, 2010, o. S.), in welchem der ‚besondere‘ Körper eine wichtige Rolle spielt. Die benannte Konfliktlinie weist Parallelen zur Butler-Rezeption in den Frauen- und Geschlechterstudien auf: So wird auch hier Vertreter*innen poststrukturalistischer Ansätze vorgeworfen, den Körper bzw. seine Materialität zu vergessen (vgl. Siebers, 2008). Dahingegen arbeiten wiederum andere Autor*innen heraus, dass nicht nur Behinderung sondern auch ‚impairment‘ diskursiv konstruiert wird und gesellschaftlich-historischen Veränderungen unterliegt (vgl. Tremain, 2005).

Im Anschluss an diese anglo-amerikanischen Debatten möchten wir die Frage vertiefen, welche Bedeutung der Körper in der persönlichen Erfahrung, gesellschaftlichen Konstruktion, in Bewusstsein und Identität von Einzelnen und Gruppen und/oder in politischen und gesellschaftlichen Debatten einnimmt. Von Interesse ist insbesondere, welche theoretischen Auseinandersetzungen um die Bedeutung des Körpers für ein soziales Modell von Behinderung in den deutschsprachigen Disability Studies diskutiert/geführt werden.

 

Eingeladen sind – sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus künstlerischen und aktivistischen Kreisen ­– Beitragsvorschläge für die verschiedenen Rubriken der ZDS u.a. zu folgenden Themen und Kontexten:

Körperkonzeptionen

Wie lässt sich der ‚besondere‘ Körper theoretisch fassen? Welche ‚Denkschulen‘ führen zu welchen Ergebnissen? Wie müsste ein soziales (oder anderes) Modell von Behinderung theoretisch angelegt sein, um Beeinträchtigung – also ‚impairment‘ – zu berücksichtigen? Was bedeutet das für Diskurse um A/Normalität? Gibt es eine nichtdiskriminierende Vorstellung von Leid und Behinderung? Wie sind Diskurse um Leid und Behinderung aus Sicht der Disability Studies zu bewerten, bspw. im Kontext der aktuellen Debatten um Sterbehilfe oder um pränatale Diagnostik? Wie diskutieren die Disability Studies das Thema ‚Heilung‘ – auch angesichts zunehmender medizinischer Fortschritte bei einst als ‚unheilbar‘ geltenden Beeinträchtigungen?

Körperbilder

Inwiefern nehmen gesellschaftliche Vorstellungen und Abbildungen von Körpern Einfluss auf leibliche Erfahrungen von Menschen mit Behinderungen? Wie werden behinderte Körper platziert, sichtbar und unsichtbar gemacht? Mit welchen Sinnen werden diese (synästhetischen, da diskursiven) ‚Bilder‘ vernommen? Welche performativen Akte der Transformation der Wahrnehmung von behinderten Körpern werden in der Kunst, in visuellen Diskursen, in Öffentlichkeit und sozialen Medien hervorgebracht?

Zeit-Körper

In welchem Verhältnis steht der beeinträchtigte Körper zu Zeit und Zeitvorgaben? Wie kann Crip Time bzw. eine Asynchronizität von Eigenzeit und gesellschaftlicher Zeit theoretisiert und analysiert werden? Wie können Körperbewegungen, Behinderungen des Körpers bzw. Verkörperungen von Behinderung gesellschaftliche Vorstellungen verändern? Dazu gehören Fragen nach der Reproduktionsfähigkeit, Körper und Geschlecht aber auch solche nach der Pandemie mit ihrem Krisenmanagement und Triage-Praktiken und einem (neuen?) Bewusstsein für körperliche Verletzbarkeit.

Körper-Technik

Wie gestaltet sich und wie verändert sich das Verhältnis von Körper und Technik? Wie beeinflussen Technik, technische Assistenz und Praktiken des Bio-Enhancements die Sicht auf Behinderung? Von Interesse sind bspw. Körpererweiterungen, -Fertigkeiten und -Beherrschung oder auch der Einsatz technischer Assistenz und Optimierung, die zu veränderten Körpertechniken, Habitualisierungen, kulturellen Körperpraktiken führen.

Wir freuen uns auf zahlreiche Einreichungen von Abstracts!

 

Einreichung

Die dritte Ausgabe der ZDS wird Mitte 2022 erscheinen. Um das zu ermöglichen, bitten wir Sie/Dich bereits bei der Einreichung von Artikelideen die folgenden Fristen zu beachten:

Einreichung Abstracts| 08.11.2021
Auswahl der Abstracts / Rückmeldung an Einreichende|22.11.2021
Einreichung des Manuskripts| 11.02.2022
Versendung der Reviews an Einreichende | 15.04.2022
Einreichung der überarbeiteten Manuskripte | 30.06.2022
Rücksendung 2. Feedback an Autor*innen | 31.07.2022
Einreichung der finalen Manuskriptversion | 31.08.2022

Die Abstracts von insgesamt max. 3500 Zeichen bitte als Word-Datei unter Angabe von Namen, Nachnamen, Affiliation und der eigenen Emailadresse per Mail an kontakt@zds-online.de senden. Hinweise zur Manuskriptgestaltung nach Annahme des Abstracts finden Sie unter siehe https://zds-online.org/

Mit freundlichen Grüßen vom Herausgeber*innenteam

Julia Biermann, Mai-Anh Boger, David Brehme, Swantje Köbsell, Rebecca Maskos, Lisa Pfahl

Literatur

Barnes, C., & Mercer, G. (2003): Disability. Polity Press.

Biermann, J., & Pfahl, L. (2020) A Global Monitoring Practice in the Making: Disability Measurement for United Nations Sustainable Development Goal 4 on Inclusive Education. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 31(3), 192-213. https://doi.org/10.25365/oezg-2020-31-3-11 

Davis, L. J. (1997). Nude Venuses, Medusa’s Body, and Phantom Limbs: Disability and Visuality. In D. T. Mitchell & S. L. Snyder (Hrsg.), The Body and Physical Difference. Discourses of Disability (S. 51-70). University of Michigan Press.

Hughes, B., & Paterson, K. (1997). The Social Model of Disability and the Disappearing Body: Towards a Sociology of Impairment. Disability & Society, 12(3), 325- 340. https://doi.org/10.1080/09687599727209

Kafer, A. (2003). Compulsory Bodies. Reflections on Heterosexuality and Able-Bodiedness, Journal of Women’s History, 15 (3), 77-89. https://doi.org/10.1353/jowh.2003.0071

McRuer, R. (2006): Compulsory Able-Bodiedness and Queer/Disabled Existence. In L. J. Davis (Hrsg.), The Disability Studies Reader (2. Ausgabe, S. 301-308). Routledge.

McRuer, R. (2010). Ohne Titel, Vortragsmanuskript. Universität Hamburg.

Rich, A. (2003). Compulsory Heterosexuality and Lesbian Existence (1980). Journal of Women’s History 15(3), 11-48. https://doi.org/10.1353/jowh.2003.0079

Siebers, T. (2008). Disability Theory. University of Michigan Press. https://doi.org/10.3998/mpub.309723

Thomas, C. (1999). Female Forms. Experiencing and Understanding Disability. Open University Press.

Thomas, C. (2007). Sociologies of Disability and Illness. Contested Ideas in Disability Studies and Medical Sociology. Palgrave Macmillan.

Tremain, S. (2005). Foucault, Governmentality, and Critical Disability Theory: An Introduction. In S. Tremain (Hrsg.), Foucault and the Government of Disability (S. 1-25). University of Michigan Press. https://doi.org/10.3998/mpub.8265343

 

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Call for papers

Der Call for Papers zur 2. Ausgabe: Abseits und Jenseits des Sozialen Modells

Der Call for Papers als barrierefreies pdf

„Abseits und Jenseits des Sozialen Modells – 
Neuer Realismus und Phänomenologie der Behinderung”

Nach wie vor ist die Frage, was Behinderung überhaupt ist, wie sie sich definieren, modellieren, theoretisieren und (anders) denken lässt, die ‚Gretchenfrage’ der Disability Studies. Einerseits wird sich dabei weiterhin auf das Soziale Modell bezogen: Welche Weiterentwicklungen, neuen Entwürfe, Gegenentwürfe und interessanten Kritiken gibt es zu diesem? Andererseits wird aber auch erörtert, dass es an der Zeit wäre, nicht mehr nur mit Modellen zu arbeiten, sondern die Arbeit am Begriff stärker an die Theoriebildung rückzukoppeln (ex. s. Waldschmidt 2020). Welche Theorien zu Behinderung gibt es?

Die zweite Ausgabe der Zeitschrift für Disability Studies widmet sich daher dieser grundlegenden Frage, die seit der Gründungsstunde der Disability Studies zu ihrem Kern gehört:

Was ist Behinderung aus der Perspektive der Disability Studies? 

Wie lässt sich Behinderung aus einer sozial- und kulturwissenschaftlichen oder aber aus einer philosophischen Perspektive begrifflich fassen und beschreiben? 

So gibt es Vertreter_innen der Disability Studies, welche dem Sozialen Modell die Treue halten wollen, aber dennoch monieren, dass dieses aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ungenügend sei: Wie ließe sich aus diesem Modell, das im aktivistischen Kontext geboren wurde und zu politischen Zwecken in der skandierbaren Zeile ‚Wir sind nicht behindert, wie werden behindert‘ verdichtet wurde, eine tragfähige (konstruktivistische) Theorie machen? Müssen wir dies (im Zuge der Akademisierung der Disability Studies)? 

Im Unterschied zu Theorien, die eine Arbeit am Begriff eröffnen, wird in Modellen ein Objekt X – in diesem Fall ‚Behinderung‘ – dimensionalisiert oder in Faktoren zerlegt. Was zeigt sich über die Tragfähigkeit sowie über die Grenzen des Sozialen Modells in Versuchen der Operationalisierung und Quantifizierung desselben? Inwiefern wird darin eine Objektivierung und (Re-)Medizinalisierung des Behinderungsbegriffs wiedereingeführt oder eben unterbrochen? 

 

In den verschiedenen Herangehensweisen bei der Definition, Modellierung und Theoretisierung von ‚Behinderung’ zeigt sich häufig auch der Unterschied zwischen Empirismus und Empirie sehr deutlich: Zu der dominanten medizinischen Perspektive des (vermeintlich) objektiven, positivistischen Draufblicks gehört auch ebenjener Modus der statistischen Modellierung bei gleichzeitiger Begriffsarmut der empiristisch-quantitativen Forschung. Wo ist darin Platz für die Erfahrung aus der Ersten-Person-Perspektive? 

So würde man zum Beispiel aus der Phänomenologie heraus sagen: Die Erste-Person-Perspektive, die in den Disability Studies aufgrund des Anspruchs der Selbstvertretung behinderter Menschen so zentral ist, ergießt sich nicht im Modus der Modellbildung. Vielmehr spricht man in dieser Traditionslinie von ‚Theorien ersten Grades‘ oder aber ‚subjektiven Theorien‘ oder ‚verkörperten Theorien‘. Aus einer solchen Perspektive des verkörperten Wissens erscheint Modellbildung als eine Form positivistischer/empiristischer Verobjektivierung. 

 

Bemerkbar wird aus dieser Perspektive zudem eine paradoxe Körperlosigkeit des Sozialen Modells: So hält es zwar an einem Konzept dimensionalisierbarer Beeinträchtigung (impairment) fest, kennt aber weder einen Begriff von Körper noch von Leib. In welchem Verhältnis stehen Körperbegriffe zu Behinderungsbegriffen? Was kennzeichnet ‚Behinderung’ als körperliche Erfahrung? 

 

Ebenso relevant ist dabei die epistemische Frage nach der Situiertheit von Wissensproduktionen: Wie wird Behinderung aus der Subjektperspektive erfahren? Dies ist auf mindestens zwei Ebenen relevant. Erstens betrifft dies die Bedeutung der Selbstvertretung behinderter Menschen in den Disability Studies und zweitens schließt dies an Diskurse um ‚Epistemologies of the South’, um ‚epistemic (in-)justice’ und ‚epistemische Gewalt/Epistemizid’ an: Welche Bedeutung hat die Selbsterzählung bzw. die Theoretisierung der 1.-Person-Perspektive für das Umreißen eines Behinderungsbegriffs? Welche post-kolonialen Einsatzpunkte gibt es für die Arbeit am Begriff ‚Behinderung’ und für eine Dezentrierung westlicher/europäischer Perspektiven auf diese? Welche anderen Möglichkeiten gibt es, am Begriff ‚Behinderung‘ zu arbeiten? 

 

Bewegt durch die Annahme, dass Theoriebildung im Sinne eines eingreifenden Denkens (Brecht) in das Politische und die gesellschaftlichen Verhältnisse eingebettet ist und darin auf eine emanzipatorische Wirkung zielen sollte, lässt sich auch fragen, ob das Soziale Modell nach wie vor als skandierbarer, politischer Stachel taugt oder ob es dieses subversive Potential bereits eingebüßt hat: Welche Theoriebewegungen und Begriffe von Behinderung hätten derzeit subversives Potential? Welches situierte Wissen (Haraway) gibt es darüber, welche Theoretisierungen und Begriffsbildungen zu Behinderung als anstößig gelten bzw. irritieren oder politisch aufrütteln und welche dem hegemonialen Narrativ entsprechen, also Teil des ableist gaze sind? 

 

[Zur weiteren Planung: Dieses Heft fokussiert wissenschaftstheoretische und epistemologische Grundlagen. Anthropologische Fragen wurden darin ausgeklammert, da im weiteren Verlauf ein eigenes Heft zum Themenfeld Anthropologie(-kritik), Cyborg, Transhumanismus und (Anti-) Humanismus geplant ist.] 

 

Eingeladen sind Beiträge, die 

 

  • im Sinne kritischer Würdigungen, historischer Abhandlungen oder anderer argumentativer Abwägungsfiguren, den Diskursstand zum Sozialen Modell und/oder dem Kulturellen Modell von Behinderung resümieren
  • andere Entwürfe zur Theoretisierung von Behinderung einbringen, ohne sich weiter an Vorläufer-Modellen abzuarbeiten
  • sich mit einer Kritik am Sozialen Modell und/oder mit Kritiken am (Radikal-)Konstruktivismus befassen

 

Ebenso erwünscht sind Perspektiven, die sich jenseits und abseits der derzeit in den Disability Studies geläufigen konstruktivistischen Argumentationen bewegen – egal ob diese materialistischer, phänomenologischer oder ganz anderer Provenienz sind. Gefragt sind Einreichungen zu

 

  • Theorien des Körpers und die darin nahegelegten Behinderungsbegriffe
  • Phänomenologie der Behinderung und des Behindert-Werdens 
  • Philosophische Arbeiten zu Nominalismus, Kritischem/Neuem Realismus, Konstruktivismus(-kritik) etc.
  • Materialistische Behinderungsbegriffe & das Potential des New Materialism für die Disability Studies
  • Intersektionale Arbeiten zur Dezentrierung von Behinderungsbegriffen
  • International vergleichende und/oder post-koloniale Arbeiten zu Behinderungsbegriffen aus kulturtheoretischen, geschichtlichen, imperialismuskritischen etc. Perspektiven
  • Relevanz wissenschaftstheoretischer/epistemologischer/philosophischer Grundlagen für die DS und für den Aktivismus/die Behindertenbewegungen (Politische Philosophie) 
  • ….

Auch aus aktivistischen/politischen Kreisen werden Beiträge gesucht: 

Inwiefern taugt das Soziale Modell als politischer Stachel? Hat es (noch? nicht mehr? mittlerweile wieder?) subversives Potential? Woran merkt man das in der politischen Arbeit? Welche anderen Begriffe von Behinderung hätten derzeit politisches Potential? Welche Begriffe von Behinderung sind derzeit hegemonial?

Einreichung

Wir freuen uns auf zahlreiche Einreichungen! Die zweite Ausgabe der ZDS wird Ende 2021 erscheinen. Um das zu ermöglichen, bitten wir Sie/dich bei der Einreichung von Artikelideen die folgenden Fristen zu beachten:

| Einreichung Abstracts: | 01.03.2021
| Auswahl der Abstracts / Rückmeldung an Einreichende:  | 15.03.2021
| Einreichung des Manuskripts:  | 01.06.2021
| Versendung der Reviews an Einreichende: | 15.08.2021
| Einreichung der überarbeiteten Manuskripte:  | 30.09.2021
| Rücksendung 2. Feedback an Autor*innen: | 31.10.2021
| Einreichung der finalen Manuskriptversion:  | 30.11.2021

Die Abstracts können unter https://umfrage.hu-berlin.de/index.php/633545 eingereicht werden. 

Bei Nachfragen oder Problemen mit dem Online-Formular können Sie sich per Mail an
kontakt@zds-online.dewenden. 

Wir sind gespannt auf Ihre Einreichungen!

Mit herzlichen Grüßen,

das Herausgeber*innenteam – Julia Biermann, Mai-Anh Boger, David Brehme, Swantje Köbsell, Rebecca Maskos, Lisa Pfahl

Kontakt: kontakt@zds-online.de

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Call for papers

Der Call for Papers zur Erstausgabe: Utopien und Dystopien

Der Call for Papers als barrierefreies pdf

„Utopien & Dystopien – Ein Disability Studies Blick nach vorn“

Die erste Ausgabe der Zeitschrift für Disability Studies fragt danach, wie sich Behinderung als soziales Phänomen in Zeiten von erstarkendem Nationalismus, Rechtspopulismus, Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus, um sich greifendem Neoliberalismus, Handelskriegen, Digitalisierung und sich beschleunigendem Klimawandel verändern wird. Welche Zukünfte der Behinderung lassen sich vor diesem Hintergrund entwerfen?

Die Beiträge dieser Ausgabe suchen Antworten auf die Frage, wie sich das Leben behinderter Menschen angesichts gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Megatrends – von Urbanisierung über Digitalisierung bis Individualisierung – verändern wird; welche Utopien, Anti-Utopien und Dystopien von Behinderung sich jenseits von ableistischen Utopien einer „behinderungsfreien“Gesellschaft entwickeln lassen. 

Mögliche, aber nicht ausschließliche, Themen, die in dieser Ausgabe eine Rolle spielen, umfassen dabei: Ausgangspunkt zahlreicher kontroverser Debatten in den Disability Studies erscheint die zunehmende Verschiebung der Grenzen des Menschseins – z. B. im Kontext der Diskurse zu Post- & Transhumanismus / Enhancement / Cyborgs, zu der auch die in der sog. Tierrechtsdebatte mit ihrer Unterscheidung in human/non-human animals gehört. In der zunehmenden Globalisierung des DS-Diskurses wird deutlich, dass die für die Disability Studies zentrale Unterscheidung von impairment und disability eine sehr westlich geprägte ist – wie verändert sich der Blick darauf unter Einbezug postkolonialer Theorien und Stimmen aus den Ländern des globalen Südens? Wie wirken sich neue medizinische Machbarkeiten in der Pränataldiagnostik auf das alltagseugenische Denken aus – und was kann ihm entgegengesetzt werden? Wird sich die Psychiatrisierung der Gesellschaft weiter fortsetzen oder wird die Psychiatrie abgeschafft? Welche Bedeutung haben erstarkender Nationalismus, Rechtspopulismus, Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus bei gleichzeitiger Zunahme von Flucht- und Migrationsbewegungen auf den (kritischen) Behinderungsdiskurs? Wird ein weltweit anhaltend boomender Kapitalismus mit immer neuen Formen der Arbeitskraftverwertung eine zunehmende Nützlichkeitserwartung an Körper stellen und damit auch beeinträchtigte Menschen weiter marginalisieren? Wird der demographische Wandel mit einer signifikanten Zunahme beeinträchtigter Menschen eine Veränderung der Bewertung von Beeinträchtigung und Behinderung mit sich bringen? Neben dem demographischen Wandel wird die Digitalisierung maßgeblich unsere Zukunft beeinflussen – welche Möglichkeiten eröffnet diese für behinderte Menschen und wo entstehen hier möglicherweise neue Barrieren? Wie sähen Entwürfe von inklusiven Gesellschaften aus, die  den Bedürfnissen und Fähigkeiten aller Menschen gerecht werden?

Auch die Zukunft der kritischen Behinderungsforschung kann in den Blick genommen werden – wie wird/sollte sie sich weiterentwickeln? Wird Identitätspolitik weiterhin eine Rolle spielen oder überwunden werden? Wie wird sich das Verhältnis der Disability Studies zu Nachbardisziplinen wie den Mad Studies, der Teilhabeforschung, der Inklusionsforschung etc. entwickeln?  Und last but not least: Welche Inhalte werden zukünftige Politiken im Hinblick auf Behinderung eine Rolle spielen – und wie sieht die Zukunft der (Menschen)Rechte behinderter Menschen aus?

Einreichung

Wir freuen uns auf zahlreiche Einreichungen! Die Erstausgabe der ZDS wird Anfang 2021 erscheinen. Um das zu ermöglichen, bitten wir Sie/dich bei der Einreichung von Artikelideen die folgenden Fristen zu beachten:

| Einreichung Abstracts: | 01.03.2020
| Auswahl der Abstracts / Rückmeldung an Einreichende:  | 01.04.2020
| Einreichung des Manuskripts:  | 01.07.2020
| Versendung der Reviews an Einreichende: | 15.09.2020
| Einreichung der überarbeiteten Manuskripte:  | 30.10.2020
| Rücksendung 2. Feedback an Autor*innen: | 30.11.2020
| Einreichung der finalen Manuskriptversion:  | 30.12.2020

Wir sind gespannt auf Ihre/Eure Einreichungen!

Mit herzlichen Grüßen,

das Herausgeber*innenteam – Julia Biermann, Mai-Anh Boger, David Brehme, Swantje Köbsell, Rebecca Maskos, Lisa Pfahl

Kontakt: kontakt@zds-online.de


[1] Vgl. Rice, C., Chandler, E., Rinaldi, J., Changfoot, N., Liddiard, K., Mykitiuk, R. and Mündel, I. (2017), Imagining Disability Futurities. Hypatia, 32: 213-229. doi:10.1111/hypa.12321